Wolfgang Mocker
WAS UNS AM ENDE ÜBRIGBLEIBT
Lausitzer Rundschau · 15.02.2003

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Ein sächsisches Ehepaar reklamierte vor einiger Zeit einen Gurkenhobel. So ein Ding, mit dem man jede Gurke in diesem Land in Scheiben zerlegen könnte. Wenn man denn könnte! Die beiden Sachsen nämlich kamen mit dem Gerät nicht zurecht und schickten es an den Hersteller zurück. Der Mittelständler aus einem der alten Bundesländer sah seine deutsche Wertarbeit in Mißkredit gezogen und reagierte prompt: Wenn die Ossis zu doof seien, mit bester bundesdeutscher Ware umzugehen, sollten sie gefälligst ihren alten DDR-Schrott benutzen.

Diese Anekdote aus den Niederungen des deutsch-deutschen Alltags bringt uns zu einer entscheidenden Frage: Ist bei der Wiedervereinigung wirklich nichts von der DDR übernommen worden?

Nach zwölf Jahren läßt sich das so nicht mehr sagen. Sandmännchen und grüner Pfeil gehören ja nur zu den sichtbaren neuen Errungenschaften. Zugverspätungen erreichen inzwischen ebenfalls wieder DDR-Niveau.

Handwerkerpfusch und Kunstfehler am Bau feiern fröhliche Urständ. Von Kunstfehlern am Patienten ganz zu schweigen.

Besonders nostalgische Heimatgefühle kommen auf, wenn man für sein Geld eine ordentliche Gegenleistung erwartet. Wie sie beispielsweise jeder Unternehmer von seinen Arbeitnehmern erwartet.

Wenn Sie beispielsweise bei „OfficeToday by Schäfer shop“ zwei Glasvitrinen für den stattlichen Preis von über 800 Euro bestellen, klingelt eines Tages ein Mann des Transportunternehmens „Danzer“ bei Ihnen, um die ziemlich schweren Vitrinen prompt zu liefern. Und wo liegt nun das Problem? Es liegt exakt hinter der „ersten verschließbaren Tür“. Und zwar in Form der Glasvitrinen. »Bis dorthin und keinen Schritt weiter!«, verkündet der Mann durch die Sprechanlage, woraus Sie schließen können, daß er sich noch an Ihrer Haustür befindet. Das bedeutet zugleich, daß Sie selbst sich im ungünstigsten Fall vier oder fünf Stockwerke von den Vitrinen entfernt aufhalten. Beziehungsweise umgekehrt.

Möglich ist auch, daß Sie bei „HEINE VERSAND“ einen Badschrank bestellen. Für etwa 350 Euro dürfen Sie das Ding natürlich eigenhändig aufbauen. Was Ihnen weniger teuer vorkäme, wenn den Brettern nicht ganz so viele Bohrlöcher fehlen würden.

Auch Korbsessel aus dem „BADER VERSAND“ sind ein ziemlich teurer Spaß. Besonders, weil Sie erst noch selbst zu Pinsel und Lack greifen und das Halbfabrikat erst mal ordentlich aufmöbeln müssen.

Oder Büromöbel von „BÜRO PLUS“. Sechs Teile. Mit Aufbau. Über 4000 Euro. Zwei junge Männer tragen die Teile unaufgefordert in die Wohnung. Das kann Zufall sein. Denn auch sie sagen, sie hätten noch nie schwere Büromöbel in den vierten Stock eines Hauses ohne Fahrstuhl geschleppt. Das Glück will es, daß es sich bei den Lieferanten um einen Russen und einen Ukrainer handelt. Sie geben sich Mühe. Das Pech will es, daß sie kaum Werkzeug dabei haben und ihnen zu allem Unglück auch noch ein Bohrer abbricht. Irgendwie bauen sie die Teile dennoch auf. Improvisation war im Osten bekanntlich alles. Am Ende fehlen dennoch ein Schloß und eine Handvoll Schrauben. „Das ist Deutschland!“ kräht der Ukrainer hämisch. Der Russe empfiehlt uns, die restlichen Schrauben im Baumarkt zu holen, denn meist würden nach einer Reklamation die falschen Schrauben geliefert.

Wir glauben ihm nicht und bestehen auf Reklamation.

Nach etlichen Telefonaten mit BÜRO PLUS schickt der Hersteller das fehlende Zubehör. Von acht Schrauben stammen drei leider aus dem falschen Sortiment. Der Russe läßt grüßen! Nach einer weiteren Woche kommen erneut vier Schrauben. Wir haben leider nicht den passenden Schrank dazu.

Der Einzelhandel ist in einer schweren Krise, und niemand weiß warum. Zum Glück für den Einzelhandel ist der Endverbraucher gelegentlich einfach gezwungen, einiges aus seinem Sortiment in Kauf zu nehmen.

Es ist also eine ganze Menge von der DDR geblieben. Nur daß man es nicht mehr mit Aluchips bezahlen darf. Wer hätte gedacht, daß gnadenloser Konkurrenzkampf im Einzelhandel im Prinzip zu denselben Ergebnissen führen könnte wie „sozialistischer Wettbewerb“? Ist Marktwirtschaft am Ende bloß die Fortsetzung der Planwirtschaft mit wesentlich mehr finanziellen Mitteln?

Zum Glück führen Inkompetenz und Unfähigkeit im Kapitalismus höchstens zum Ruin einer einzelnen Firma und nicht gleich des ganzen Landes.

Aber stellen Sie sich nur mal für einen kurzen Moment vor, unsere Politiker würden genauso arbeiten wie der Einzelhandel!

Wolfgang Mocker 2003

© 2010 Viola Mocker Berlin · www.mocker-aphorismen.de
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