Wolfgang Mocker
In drei Gottes Namen
Eulenspiegel · 06/2009

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Nach dem Zeitalter der Aufklärung sah es so aus, als wären Religion und Glaube am Ende. Gott schien zum Teufel gegangen zu sein. Doch nach dem Ende des Kommunismus zeigte sich, dass die Aufklärung zwischen Inquisition und Stalinismus hängengeblieben war.
Das kann nicht wundernehmen, denn wodurch sollte Glaube eigentlich ersetzt werden? Die Kommunisten konnten nur mit einer weiteren gottlosen Religion, dem Atheismus, dienen. In spiritueller Hinsicht gibt es nichts Besseres: Opium fürs Volk und Methadon für Denker auf Entzug! Die einen beten ununterbrochen zu Gott, die anderen appellieren permanent an die menschliche Vernunft. Wo ist der Unterschied?

Mir ist es wurscht, ob die Leute leidenschaftlich an Jesus glauben oder an Hedgefonds. Irrational ist, wie sich herausgestellt hat, beides. Das heißt, beim Muttersöhnchen Gottes ist das allerletzte Wort offenbar noch nicht gesprochen.

Außer in Berlin. Nur ein knappes Drittel der Berliner sind Christen. Zuletzt haben in der Hauptstadt gerade mal 14% aller Wahlberechtigten für Religion als staatliches Wahlpflicht-Schulfach gestimmt. Nicht mal mehr jeder zweite Berliner Taufscheinchrist ist an die Urne gegangen. Kinder und Jugendliche in Berlin müssen also weiterhin ihre kostbare Freizeit opfern müssen, um religiös zu werden.

Ist die Bundesrepublik eigentlich ein laizistischer Staat, in dem es eine strikte Trennung zwischen Kirche und Staat gibt? Gott behüte! Dann müssten ja auf einen Schlag mindestens zwei Volksparteien verboten werden! Und der Fiskus dürfte nicht die Kirchensteuer eintreiben. Und sogar der Amtseid müsste dann für die Bundeskanzlerin extra geändert werden in: »So wahr ich Gott helfe!«

Im Grundgesetz ist deshalb von einer Trennung zwischen Staat und Kirche auch keine Rede. Da steht auch nichts davon, dass Religion Privatsache sei. Das Wort »Privatsache« taucht überhaupt nicht auf. (Nicht mal der Begriff »Privateigentum«!).

Glaubensmäßig ist die Bundesrepublik also ein ausgesprochen tolerantes System. Glaubensfreiheit wird sogar staatlich garantiert. Solange man an nichts glaubt, was wirklich existiert.

Dass der Glaube generell auf dem Rückzug sei, kann man jedoch nicht behaupten. Allein der Glaube vieler Menschen an die jungfräuliche Geburt oder die übersinnlichen Kräfte kostenlos verschickter SMS bei der Telekom ist nahezu unerschütterlich.
Bislang freilich wurde Religiosität oft ausschließlich an den sonntäglichen Kirchgängen gemessen. Das ist natürlich schon lange nicht mehr zeitgemäß. Neue Glaubensinhalte sind inzwischen unmerklich nachgewachsen.

Da wäre beispielsweise der Gesundheitswahn. Grundlage für ihn ist zunächst einmal der unbedingte Glaube an sich selbst. Du sollst keine Götter neben dir dulden! Dein Leben ist vielleicht völlig sinnlos, aber dafür soll es auch möglichst lange dauern. Am besten ewig. Du kannst nichts mit ins Grab nehmen – nur deinen Körper! Also investiere alles, was du hast, in diesen Körper. Die niedergelassenen Götter in Weiß werden es dir danken. Und lass dich am Ende möglichst lebendig begraben. Nur so macht ein Leben nach dem Tode halbwegs Sinn.

Eine Untersekte der Gesundheitsbaptisten sind die Nordic Walker. Sie führen ihren mobilen Altar in Form zweier Skistöcke immer bei sich. Für das kleine Gebet unterwegs. Einige nehmen die Stöcke sogar mit ins Bett. Um auch nachts spirituell auf dem Laufenden zu bleiben.

Die Existenz der hiesigen Gesundheitsbaptisten erklärt zugleich die Unerbittlichkeit, mit der Menschen an den Klimawandel glauben. Wenn ich als Gesundheitsanbeter ohnehin mit den nächsten hundert oder hundertfünfzig Jahren liebäugele und sie fest in meine Lebensplanung integriert habe, dann kann ich natürlich auch den millimeterweisen Anstieg der Weltmeere nicht länger ignorieren. Selbst Leute, denen bereits heute das Wasser bis zum Hals steht, machen sich dann plötzlich Gedanken über die Sintflut am Ende dieses Jahrhunderts.

Eine eher kommerziell ausgerechnete – pardon – ausgerichtete Sekte stellen die Scientologen dar. Das nehmen ihnen die Sektenbeauftragten hierzulande besonders übel. Scientology ist allerdings eher was für ausgebrannte Superstars. Um die geistige Leere nach dem völlig unerklärlichen Erfolg irgendwie zu füllen. Und natürlich die Kassen der führenden Thetane und Avatare unter Hubbards Nachfolgern.
Die Zahl der Superstars ist bei uns leider begrenzt. So dass bedauerlicherweise immer mehr psychisch instabile Leute ohne ausreichendes Einkommen in diese Sekte drängen.

Für alle Besser-oder-Schlechter-Verdienenden hierzulande bietet sich daher eher die Massenbewegung der Mammon-Mormonen an. Bei ihrem  symbolischen Tanz ums Goldene Kalb sind gerade in Krisenzeiten auch Schaulustige willkommen.
Die Ethik-Quäker wiederum schwören auf den unbedingten Schutz des ungeborenen Lebens, und die Fundamentalisten unter ihnen sind sogar bereit, dafür zu morden. Zumal sich bereits praktizierende Abtreibungsärzte in aller Regel nicht mehr auf andere Weise abtreiben lassen. Gemäßigte Ethik-Quäker allerdings treten lediglich dafür ein, dass jede Embryonal- und Stammzelle das Recht auf einen ordentlichen Anwalt hat.

Bei jeder dieser Glaubensrichtungen stellt sich natürlich die Frage: Warum glauben Menschen eigentlich nicht gleich wieder an das Original? Also an den lieben Gott. Schließlich spielen die meisten von ihnen ja auch Lotto. Und Glauben ist nun mal nicht nur reine Glaubens-, sondern eben auch immer ein bisschen Glückssache.

 Wolfgang Mocker

© 2010 Viola Mocker Berlin · www.mocker-aphorismen.de
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