Wolfgang Mocker
Es gibt ein Leben nach der Pleite
Eulenspiegel · 08/2009

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Der Bundestag hat ein Gesetz über Patientenverfügungen beschlossen. Danach kann jeder Bundesbürger festlegen, was mit ihm geschehen soll, wenn er eines Tages am Ende ist. Sie dürfen dann sagen – oder mit der Hand auf die Verfügung deuten: »Schaltet endlich die Instrumente ab!«
So was dürfen deutsche Unternehmen bedauerlicherweise nicht! Im Gegenteil! Dann gilt nämlich das Insolvenzgesetz mit seinem wunderbaren Instrumentarium! Manchmal reicht es bereits, den Arbeitnehmern die Instrumente zu zeigen. Danach wird das Unternehmen neu aufgestellt, und alles geht von vorne los. Oder nach hinten. In jedem Fall aber mit viel weniger Leuten. Im Gegensatz zum Menschen ist ein Wirtschaftspatient nämlich in der Lage, sich gesundzuschrumpfen.

Vor zehn Jahren gab es in Deutschland für eine Pleite noch die Begriffe Konkurs, Vergleich oder Gesamtvollstreckung. Heute muss das Ende einer Firma nicht mehr das Ende sein. Es kann auch der Anfang sein. Vom nächsten Ende.

Kürzlich hat sich der Milliardär Adolf Merckle vor den Zug geworfen. Die Bahn kam wie immer pünktlich, aber nicht immer geht eine Insolvenz derart reibungslos über die Bühne.
Kernstück des neuen deutschen Insolvenzrechts ist die geordnete Insolvenz. Im Krieg sagte man »Frontbegradigung« oder »Taktik der verbrannten Erde«. Heutzutage muss jede Insolvenz ordnungsgemäß beim Amtsgericht angemeldet werden. Daran schließt sich nahtlos eine strahlende Zukunft an. Was zum Leidwesen des Herrn zu Guttenberg weder sein Parteivorsitzender Seehofer noch seine Kanzlerin noch die Sozialdemokraten verstanden haben. Auch viele Unternehmer nicht. Deshalb scheuen sie die Konsequenz, die Adolf Merckle aufbrachte, und neigen zur Insolvenzverschleppung (Achtung, Kapitalverbrechen!).

Das insolvente Unternehmen kann beispielsweise lästige Verträge lösen. Es wird sogar gierige Vermieter los, die jeden Monat auf der Matte stehen. Davon können zahlungsfähige Betriebe und private Endverbraucher nur träumen! Außerdem zahlt die Bundesagentur für Arbeit bis zu drei Monate die Löhne der Mitarbeiter. Damit das gescheiterte Unternehmen in aller Ruhe »frisches Geld einsammeln« kann – für neue gewagte Unternehmungen.

Das Sahnehäubchen des reformierten Insolvenzrechts aber ist die »Planinsolvenz in Eigenverwaltung«. Statt einfach die Tafelbronze zu versilbern, verkleidet sich hierbei ein vom Amtsrichter bestellter Insolvenzverwalter vor den Augen aller Beteiligten in einen schmucken Sanierer und setzt sich den Hut für das Ganze auf. Er kann auch als Weihnachtsmann erscheinen. Unklar ist, nach welchen Kriterien diese Leute, zumeist Wirtschaftsanwälte, vom Amtsgericht ausgewählt werden. Nur eins ist sicher: Der Insolvenzverwalter benötigt – wie alle so genannten Wirtschaftsexperten hierzulande – nicht den geringsten Qualifikationsnachweis. Es bereitet es ihm jedoch keinerlei Probleme, sich an die Spitze einer Geschäftsleitung zu setzen, die ihrerseits bereits nachweislich gescheitert ist.

Der Insolvenzverwalter macht den Gläubigern klar, dass sie noch viel mehr verlieren, wenn sein grandioser Plan (»Mächtig gewaltig, Egon!«) an ihnen scheitern sollte. Auf diese Weise verbleiben die Rosinen fürs erste im Mürbeteig der Firma. Zumindest theoretisch. Denn selbst die beantragte Planinsolvenz hinderte beispielsweise die Arcandor AG nicht daran, vor dem Insolvenzverfahren die Konten ihrer Tochter »Quelle« abzuräumen. Reine Routine, wie das Management versichert. Man darf ja nicht vergessen, dass selbst eine Planinsolvenz nur äußerst selten unter planwirtschaftlichen Bedingungen vor sich geht. In der Regel findet sie unter den Bedingungen der freien Konkurrenz statt. Jeder versucht zu retten, was nicht zu retten ist. Unter den Gläubigern beginnt ein zähes Feilschen darum, wer für die zur Rettung notwendigen Verluste aufkommt. Auf jedem arabischen Basar geht es gesitteter zu. Doch mit ein bisschen Glück rücken bald schon neue Insolvestoren an, und Opel produziert vielleicht bald wieder fahrbare Zahnputzbecher. Oder flugfähige Einbauküchen.

Zwar verstehen sich nur wenige Kanzleien von Wirtschaftsanwälten auf die Sanierung von Betrieben, aber da im Gefolge der Finanzkrise eine gewaltige Pleitewelle im Anrollen ist, boomt das Geschäft mit den Insolvenzen trotzdem. Scheitern ist ja immer auch eine große Chance, wie uns immer wieder gesagt wird! Je mehr Insolvenzen, desto mehr Chancen. Daß eine gut geht.

Ob »unser hochmodernes Insolvenzrecht« (Guttenberg) der gewaltigen Pleitewelle standhalten wird, wird sich zeigen. Wenn nicht, was Gott verhüten möge, bliebe immerhin noch die Planinsolvenz der Bundesrepublik in Eigenregie. Experten sprechen bereits von der nächsten »großen Blase«, bei der diesmal nicht Banken, sondern Staaten ins Wanken geraten werden. Pleite zu gehen ist aber glücklicherweise auch für Staaten kein Verbrechen. Die Bundesrepublik müßte sich dafür nicht mal auf die Schienen des Staatsunternehmens Bahn legen. 

Eine Insolvenzverschleppung hingegen kann bis zu drei Jahre Gefängnis bringen. Und in dieser Zeit kann man dann nicht mal mehr als Geschäftsführer oder Vorstand oder Bundeskanzler tätig sein. Fachleute sprechen von »schuldhaftem Zögern«! Zögern ist aber die einzige Stärke unserer Bundeskanzlerin. Wird sie für ein paar Jahre aussetzen müssen?

Es ist sicherlich kein Zufall, dass der Kapitalismus zu Zeiten des Kommunismus wesentlich besser in Form war. Jeder BWL-Student im ersten Semester weiß, dass Konkurrenz das Geschäft belebt. Inzwischen jedoch hat der Kapitalismus keinen Konkurrenten mehr. Er besitzt stattdessen ein weltweites Monopol auf alles und jeden. Besonders auf sich selbst. Durch den fehlenden Wettbewerb nimmt die freie Marktwirtschaft daher notwendigerweise totalitäre Züge an. Das muss natürlich kein Makel sein. Im Rahmen des Insolvenzrechts könnte sich auch der Kapitalismus in eigener Regie abwickeln. Noch fehlt dafür ein Insolvenzverwalter, der das kann und sich traut.

Wolfgang Mocker

© 2010 Viola Mocker Berlin · www.mocker-aphorismen.de
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