Wolfgang Mocker
Kaufen Sie, um Himmels willen!
Der Freitag · 19.12.2003

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Ich hoffe, Sie haben alles gekauft, was auch Ihre Nachbarn dieses Jahr zu Weihnachten gekauft haben. Und womöglich hat´s bei Ihnen sogar noch für eine Rate mehr gereicht, die Sie jetzt abstottern können. Das wäre toll. Vor allem für unsere Volkswirtschaft. Ich zum Beispiel habe mir einen Zweitwagen geleistet. Ich weiß zwar nicht, wer das Ding fahren wird, denn nur meine Frau hat eine Fahrerlaubnis, aber er sieht toll aus - wie er so vorm Haus steht und die Nachbarn gelb vor Neid werden lässt. Ich könnte da stundenlang zusehen.

Spaß beiseite. Ich bin eher einer der Blindgänger aus der Cashtestdummy-Serie. Ich gehöre zu den Leuten, die sich sagen: Ich brauche kein Handy, das auch noch mittelmäßige Fotos macht. Ich brauche keinen Computer, der schneller denken kann als ich. Ich brauche keine Fotokamera, die mehr Bildpixel aufnimmt, als die bundesdeutsche Wirklichkeit überhaupt zu bieten hat. Mit anderen Worten: Ich gehöre eher zu den Schädlingen unserer Volkswirtschaft.

Und das, obwohl es ihr – gerade wegen Leuten wie mir – zurzeit dermaßen schlecht geht. Die Inflationsrate liegt um die 1,5 Prozent. Doch das gefühlte Geld wird immer knapper. Schlechte Zahlungsmoral treibt die Firmen reihenweise in den Bankrott. Das Wirtschaftswachstum stagniert – passend zur gegenwärtigen Regierung – bei einer roten Null, und nun haben wir den Salat: noch "höhere Arbeitsmarktzahlen", wie sich der Gewerkschaftsboss neuerdings auszudrücken beliebt. Er meint natürlich das Gegenteil: sinkende Arbeitsplatzzahlen. Aber was sollen die Arbeitsplätze machen? Wenn immer weniger Konsumenten etwas von dem kaufen, was an ihnen hergestellt wird. Bloß weil sie angeblich kein Geld mehr dafür haben.

In dieser Situation hat die Regierung klammheimlich ein neues Reformpaket aufgelegt: "Kaufkraft durch Freude". Natürlich nennt sie es nicht so. Schon aus historischen Gründen. Und auch, weil sie aus der Agenda 2010 inzwischen gelernt hat. Der Grundgedanke der neuen Kampagne lautet: Nur eine verstärkte Binnennachfrage kann die Konjunktur ankurbeln. Wie aber die Kaufkraft trotz realer Lohneinbußen, Preissteigerungen und Einschnitten ins Sozialsystem gestärkt werden soll, das versteckt sich in einigen scheinbar harmlosen Gesetzen und Einzelmaßnahmen.

Zunächst wurde wie nebenbei das Gesetz über die verlängerten Ladenöffnungszeiten erlassen. Da kam Freude auf! Seither kann jeder noch mehr Zeit mit noch weniger Geld in den Kaufhäusern und Supermärkten verbringen. Wenn er will, kann jeder Kunde dort schon heute das Geld ausgeben, das er erst morgen nicht verdienen wird. Kaufkraft lässt sich also auch ohne einen Cent mehr in der Tasche steigern. Allein schon durch die Freude, die bei einem Kaufrausch zu Kopf steigt. Nicht umsonst sagen Experten, Wirtschaft sei zu 99 Prozent pure Psychologie. Und Marketingspezialisten behaupten sogar, dass das Auftauchen eines Markennamens im Kopf des Endverbrauchers sein Denken komplett außer Kraft setzt.

Viele Endverbraucher tun noch immer so, als hätten sie den Maastrichter Vertrag eigenhändig unterschrieben. Als dürften auch ihre Schulden um keinen Preis mehr als 3 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts betragen. Dabei können Privathaushalte seit geraumer Zeit sogar ganz locker Konkurs anmelden. Und wenn man sich dabei nicht blöder als ein gewöhnlicher Insolvenzverwalter oder Manager einer bankrotten Firma anstellt, kann man aus der sogenannten Schuldenfalle gar nicht anders als mit Gewinn herauskommen. Auch dafür hat unsere Regierung in aller Stille mit einem Gesetz gesorgt. Also worauf warten Sie?! Kaufen Sie, um Himmels willen! Kaufen Sie, was das Zeug hält!

Als nächste Maßnahme hat sich der Kanzler persönlich den Eisernen Hans zur Brust genommen. Wenn der Bürger Schulden machen soll, dann muss der Finanzminister natürlich mit gutem Beispiel vorangehen. Inzwischen waigelt sich Eichel gegenüber Brüssel ganz energisch, weitere Einsparungen am Haushalt vorzunehmen. Das könne er dem deutschen Volk nicht länger zumuten. Höchstens noch die Eigenheimzulage und die Pendlerpauschale. Aber dann muss endlich Schluss sein. Sonst bleibt ja gar nichts mehr übrig!

Für die großen Reformen der Zukunft.

Nun erscheinen auch andere Maßnahmen der Regierung wie Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe oder die Nullrunde für Rentner in ganz neuem Licht. Gerade diese beiden Bevölkerungsgruppen haben Zeit wie Heu. Eventuelle Kaufkrafteinbußen können sie locker dadurch ausgleichen, dass sie ihre Zeit sinnvoll nutzen für besonders gründliche Preisvergleiche, etwa bei Segelflugzeugen und Segeljachten.

Halbherzige und hilflose Maßnahmen gegen die Schwarzarbeit und Geldwäsche gehören ebenfalls zur getarnten Kampagne der Regierung. Denn Schwarzarbeit schafft zwar nicht direkt neue Arbeitsplätze, aber Schwarzgeld bedeutet natürlich enorme Kaufkraft. Besonders auf höherem Niveau. Nicht zu vergessen die Investitionen in große schwarze Kassen und teure schwarze Koffer. Die Hauptlast bei der Ankurbelung der Konjunktur tragen natürlich wieder einmal die Reichen. Allerdings reicht es nicht, dass die Betuchten regelmäßig in die Oper und ins Theater gehen. Dafür lässt die Regierung die ziemlich teuren Eintrittskarten nicht zusätzlich von den zahllosen viel schlechter verdienenden Kunstbanausen subventionieren! Großverdiener sollten sich schon nach Möglichkeit zumindest diesen oder jenen Politiker kaufen. Denn auch Schmiergeld kurbelt unser Wirtschaftssystem bekanntlich an. Sonst hieße es ja wohl anders. Nicht ohne Grund hat der Gesetzgeber für Lobbyismus extra entsprechende Gesetze gemacht. Entgegen anderslautenden Bekundungen und Gerüchten hat die Regierung auch nicht wirklich etwas gegen Steuerschlupflöcher und Bankgeheimnis. Selbst Gut- und Besserverdienende können von ihr aus ruhig noch mehr Steuern hinterziehen. Hauptsache, Sie, liebe Besserverdienende, führen das Geld unverzüglich wieder dem Wirtschaftskreislauf zu. Verschwenden Sie es notfalls! Der Fiskus hätte mit Ihrem Geld auch nichts anderes gemacht.

Das Kabinett hat sich sogar bei seinem Gesundheitsreförmchen etwas gedacht. Sie soll uns Endverbraucher animieren, mehr in unsere Körper zu investieren. Sparen Sie also um Gottes willen nicht bei Krankheiten! Nutzen Sie die vielen legalen Möglichkeiten erhöhter Zuzahlungen im nächsten Jahr, um das Gesundheitswesen noch teurer und ineffektiver zu machen. Das sichert jede Menge Placebo-Effekte in der medizintechnischen und in der Pharmaindustrie. Von überflüssigen Arbeitsplätzen bei den Krankenkassen gar nicht zu reden. Stecken Sie so viel Kaufkraft wie möglich in Ihre Fitness und Gesundheit. Denn eins ist doch wohl klar: das einzige, was Sie wirklich mit ins Grab nehmen können, ist Ihr durchtrainierter Körper.

Ach, und liebe Sozialhilfeempfänger, fast hätte ich Sie – im Gegensatz zu unserer Regierung – vergessen. Immer wieder hört man, dass Sie Ihre Rechte nicht zur Gänze kennen und Ihre Möglichkeiten nicht voll ausschöpfen. Stellen Sie sich vor, das würden unsere Politiker auch so machen – gar nicht auszudenken. Sicher, nicht jeder von Ihnen kommt wie Florida-Rolf aus der Oberschicht und weiß daher von Natur aus, wo´s langgeht. Aber jeder Euro, der Ihnen zusteht, muss in Zeiten wie diesen unbedingt abgeholt und auf der Stelle ausgegeben werden! Bei Ihnen macht´s nämlich die Masse. "Kaufkraft durch Freude" funktioniert nun einmal nur in einer echten Volksgemeinschaft, in der wirklich alle in einem Boot sitzen. Selbst wenn es der falsche Dampfer ist.

Wolfgang Mocker 2003

© 2010 Viola Mocker Berlin · www.mocker-aphorismen.de
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