Wolfgang Mocker
HUMOR IST, WENN MAN TROTZDEM - LEBT!
strassen|feger · 10.05.2007

zurück

Pilotversuche von todesmutigen Zeitungsredakteuren haben ergeben, dass man notfalls von 345 Euro leben kann. Zumindest einen Monat lang. Die Journalisten waren dabei übrigens schneller, als die Kollegen von der Containerzunft des Fernsehens. Doch wer will schon soziologische Freilandversuche am Bildschirm sehen, wenn er jederzeit eigenhändig am landesüblichen Langzeitversuch unter realistischen Bedingungen teilnehmen kann. Ohne nervendes Casting. Nur durch Ausfüllen eines schlichten Fragebogens.

Was über Hartz IV allerdings ein wenig aus dem Blick gerät, ist die Frage: Wie sieht es eigentlich am anderen Ende unserer verwahrlosenden Gesellschaft aus? Bei denen, die nicht einmal arbeiten würden, wenn sie arbeiten könnten! Oder anders gefragt: Kann man von, sagen wir, 25.000 Euro im Monat leben? Wenn man es nicht anders gewohnt ist?! Auch dies lässt sich letztlich nur in einem Selbstversuch ermitteln.

Warum eigentlich ausgerechnet 25.000 Euro? Nun, Gregor Gysi, Gott hab ihn selig, hat in den 90er Jahren mal verkündet, dass kein Mensch mehr als 25.000 Mark im Monat durch Arbeit verdienen kann. Wie er auf diese Zahl kam? Keine Ahnung. Vielleicht war das damals gerade sein aktuelles Einkommen. Natürlich musste ich diesen Betrag 1:1 auf Euro umstellen. Schon wegen der Preise. Außerdem ist die konkrete Summe in so einer Größenordnung letztlich wurscht. Entscheidend ist vielmehr die Frage: Woher kriegt man die Piepen für so einen Selbstversuch?! Okay, ich habe also unsere Sparkonten abgeräumt und das Einverständnis meiner Gattin eingeholt. Exakt in dieser Reihenfolge. Danach schöpften wir unseren Dispo-Kredit bis zum Anschlag aus, und was dann noch fehlte, haben wir uns von Verwandten geborgt.

Zunächst einmal musste ich meiner Frau sämtliche Einkäufe abnehmen. Denn sie achtet penibel auf die Preise und bückt sich gelegentlich sogar tief hinunter zu den Sonderangeboten in den untersten Regalen. Das scheitert bei mir bereits an meinem chronisch entzündeten Ischiasnerv. Dort, wo ich nun einkaufen ging, gab es auch in den untersten Regalen keine Billigware. In den meisten Lebensmittelfachgeschäften gibt es, wie ich erstaunt feststellte, nicht mal unterste Regale. Da ich nicht glaube, dass bei REICHELT oder im KaDeWe prinzipiell andere Lebensmittel liegen als bei ALDI und PENNY, orientierte ich mich ausschließlich an den Preisen. Nur was richtig teuer war, kam in die Tüte. Beim Kaviar merkte ich allerdings rasch, dass ich so einem Leben auf Dauer nicht gewachsen sein würde. Mit Lebensmitteln allein konnten wir freilich unsere Ausgaben kaum nennenswert steigern. Meine bessere Hälfte muss auf ihre Linie achten, und ich selbst bekomme bei übermäßigem Verzehr von Speisen leicht Völlegefühl oder Sodbrennen. Wie so viele Deutsche.

Da ich bedauerlicherweise nicht Auto fahren kann, machte ich zunächst reichlich Gebrauch von den Einzelfahrscheinen der Berliner Verkehrsbetriebe zu 2,10 das Stück, was ganz ordentlich ins Kontor schlug. Besonders wenn man für jedes neue Ziel ein weiteres Ticket löst, weil die Kontrolleure die Fahrt ansonsten als eine verbotene Rückfahrt mit demselben Fahrschein interpretieren könnten. Ich erlebte S-Bahn-Brände, jede Menge Schienenersatzverkehre und andere Abenteuer. Bis mir auffiel, dass ich auf diese Weise überhaupt nicht am Luxus steigender Benzinpreise partizipieren konnte. Wie lange unsereins doch braucht, ehe er auf die verrückte Idee kommt, sich bequem im Taxi von Geschäft zu Geschäft kutschieren zu lassen.

Luxuriöser Energieverbrauch war ab sofort Pflicht. Ich ließ daher in der gesamten Wohnung über den kompletten Testzeitraum die Beleuchtung an. Außer natürlich im Schlafzimmer. Schließlich sollte sich unser Lebensstandard ja nicht verschlechtern. Sämtliche technischen Geräte, die das hergaben, liefen ständig. Ich stellte mein Leben komplett auf Stand-by-Betrieb um.  

Aber damit allein war den 25.000 Euro natürlich nicht beizukommen. Ich machte mich deshalb bei anderen Betroffenen kundig. Zum Beispiel bei einem gutsituierten Chefredakteur einer armseligen Zeitung. Der riet mir zu teuren Hobbys wie Aktien und Golf. Rasch merkte ich, dass ich dafür leider nicht genügend qualifiziert bin. Also entschloss ich mich, wenigstens ordentlich shoppen zu gehen. Am Kudamm kaufte ich mir einen nagelneuen Computer. Neueste Generation, alles vom Feinsten. Der PC war allerdings kaum schneller als mein alter, weil er das neueste ressourcenfressende Betriebssystem von Bill Gates benutzte. Dafür hatte meine neue Digitalkamera zwölf Millionen Pixel Auflösung. Das ist zwar mehr, als unsere dürftige Realität aufweist, aber was soll man machen. Ein bisschen Reserve kann nie schaden. Vielleicht zieht die Wirklichkeit ja eines Tages wieder mit der Technik gleich.

Den Plasma-Fernseher kaufte ich eher spontan und unüberlegt. Das Bild ist schlechter als bei unserem vorherigen Röhrenfernseher; dafür lässt er sich aber an der Wand aufhängen und schindet mächtig Eindruck. Und man muss nicht mal das Preisschild dran lassen, wie beispielsweise bei einem kopfüber aufgehängten Baselitz. Damit hatte ich aber erst die Hälfte meines Budgets verballert. Aus lauter Verzweiflung ging ich nun sogar ins Musical und in diverse Theater. Grauenhafte Vorstellungen! Aber die Kartenpreise machten das wieder wett. Kurzzeitig dachte ich sogar daran, etwas für meine Altersversorgung zu tun. Bedauerlicherweise lässt sich da in nur einem Monat nicht allzu viel ausrichten.

Es blieb mir schließlich nichts anderes übrig, als noch schnell ein Auto zu kaufen. Obwohl ich, wie gesagt, nicht mal einen Führerschein besitze. Alles in allem kam ich damit im Testmonat gerade so über die Runden. Wenn man einmal davon absieht, dass mir ausgerechnet im darauf folgenden Monat eine viergliedrige Brücke aus dem Mund fiel, die schon lange gewackelt hatte. Die muss ich nun monatelang abstottern.

Wie man sieht, ist es durchaus möglich, einen Monat lang von 25.000 Euro zu leben. Etwas ganz anderes ist es natürlich, jeden verdammten Monat des Jahres von so viel Geld zu leben.

UND DAS ALLERSCHLIMMSTE IST:
MANCHE MÜSSEN SOGAR NOCH MIT VIEL, VIEL MEHR AUSKOMMEN!!!

Wolfgang Mocker 2007

© 2010 Viola Mocker Berlin · www.mocker-aphorismen.de
zurück zur Übersicht
nach oben