Anmerkung

Ich will hier keine Lebensdaten aufschreiben, die nichts über den Menschen Wolfgang Mocker sagen könnten, der für mich 33 Jahre bester Freund, Lebensgefährte, Geliebter, Ehemann und kritischer Wegbegleiter war.
Ich will an dieser Stelle ihn, der sein Leben lang all seine Gedanken aufschrieb, der sein eigenes Leben humorvoll aber auch schonungslos reflektierte zu Wort kommen lassen.
Seine Tagebücher und Aufzeichnungen füllen ganze Schrankwände in seinem Arbeitszimmer und bisher habe ich nur einen Bruchteil davon gelesen.
Ich weiß, ich habe Jahrzehnte mit einem ganz besonderen Mann zusammengelebt. Einem Mann, der alles hinterfragte, der geniale Gedanken hatte und dazu die Fähigkeit besaß, sie auf den Punkt, auf den Aphorismus zu bringen. Er verehrte Lichtenberg, Kraus und Lec als Aphoristiker. Sie waren für ihn der Maßstab.
Er liebte die Werke von Büchner, Brecht, Strittmatter und Müller und in den letzten Jahren die Bücher Milan Kunderas.
Durch ihn habe ich polnische Musiker wie: Marek Grechuta, Nalepa und Niemen kennen gelernt und ihre Musik gehörte zu unserem gemeinsamen Leben genauso wie die von Gundermann, Wenzel oder Bob Dylan.
Er las alle neuen Veröffentlichungen über die Hirnforschung und über unser Universum und überraschte mich immer wieder mit seinem großen naturwissenschaftlichen Wissen.
Als Kind fragte er seinen Vater, wer Gott sei. Der antwortete ihm: Mein Gott ist die Natur. Vielleicht war das der Grund dafür, dass auch in seinem, unserem Leben die Natur eine so große Rolle spielte.

Viola Mocker  

Vogtland. Hinter den sieben bergen leben, die mich leben machten. Gedenken meiner mitunter, an einer lachhaften stelle.
Auch ich entsinne mich ihrer zuweilen, an einem besonders kühlen platz in der großstadt.
Dann würde ich am liebsten berge versetzen.

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Als ich kaum laufen konnte, stürzte ich in einen brunnen, kopfüber, und wurde gerettet.
Ohne mich wäre die welt schlechter. Sie hätte einen mörder mehr. Den brunnen.

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Ein kind hockt auf einer straße mit starkem gefälle und zieht das unkraut aus dem rinnstein. Ganz unten am fluß sein elternhaus, ganz oben am berg die schule, dazwischen blieb das kind hängen. An einer guten sache.

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Sonntagmorgen, gegen acht. Menschenleer liegt die stadt. Über ihr schwebt das glockenläuten der verschiedenen kirchen. Eine besondere art von stille, die gar nicht zum sozialismus passt. Ott kämpft sich das starke gefälle der bahnhofstraße hinauf. Aus manchen fenstern zieht kaffeeduft.
Eine versunkene szene, die so nie wiederkehren wird. Eine von zahllosen szenen, die nur noch in menschenköpfen existieren.

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Frühling. Die leute reden wieder miteinander. Durch die blume. Überall hört man stilblüten und das gras wachsen. Ich zeig den spatzen einen vogel, und sie pfeifen’s von den dächern: Veronika, bankdirektor Lenz ist da.

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Zeitungsarbeit. Ein redakteur bekommt wind von etwas. Er folgt der spur und wirbelt staub auf. Da wird er frisch frisiert wie sein bericht. Und korrekturfahnen wehen halbmast.

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Shopping. Was man nicht alles in kauf nimmt! Seiner bedürfnisse wegen. Man geht ihnen ins netz. Alles hat seinen preis. Die preise zahlen es uns heim. Das geht ins geld, man selber mit der zeit. Am ende ist könig kunde von sich selber bedient.

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Ich könnte jederzeit mit dem rauchen aufhören. Aber dann müßte ich auch die arbeit am schreibtisch einstellen. Und dann könnte ich auch gleich den löffel abgeben.
Ich rauche also lediglich, um am leben zu bleiben.

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Romanogramme. Um es gleich vorwegzunehmen, ich kann natürlich keine romane schreiben. Sonst täte ich es wahrscheinlich. Für die art von texten, die mir möglich sind, habe ich daher extra einen begriff erfunden.

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Die pappel vorm fenster bewaffnet sich mit frischen knospen.
Der krieg, der sich frühling nennt, kann beginnen.

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Wie kriegt man diese gesellschaft zu fassen? Sie ist unfassbar. Ständig im wandel. Ohne identität. Virtuell. Selbst ihre blödheit verflüchtigt sich auf der stelle. Kaum fällt ein grottendummer satz, schon folgt der nächste, ohne daß man zur besinnung käme.

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Manchmal wünsch ich mir eine ganz neue sprache. In der sich etwas gutes sagen ließe.

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Liebe. Ich habe nie verstanden, warum sich menschen für jemanden, den sie lieben, verstellen, in ein besseres licht setzen, köder auslegen wie für einen fisch. Irgendwann fliegt der schwindel auf. Nichts ist gewonnen. Ich dachte immer, mich sollte jemand lieben, wie ich bin. Das wird nie geschehen, dachte ich. Und dann geschah es doch.

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Ich wollte immer den marxismus widerlegen; und dann kam mir die wirklichkeit zuvor. So ähnlich wird es mir wohl mit der suche nach dem sinn meines lebens ergehen. Der tod wird mir zuvorkommen.

 

Wolfgang Mocker